14. Wewelsburg, d. 2.Juni.1946
Metz, d. 18.6.46.
Mein Liebster Franz!
es ist zwar schon spät, aber ich will
Dir trotzdem noch schreiben. Wir hatten heute abend Jungfrauenversammlung
beim Pastor. Ich habe den ganzen Nachmittag geschlafen, da bin ich nicht
so übermäßig müde. Anscheinend hat mir jemand meinen Füller entwendet,
daher mußt Du entschuldigen, daß ich nicht mit Tinte schreibe.
Als ich gestern abend aus dem Feld nach Haus kam, habe ich einen fürchterlichen
Schreck bekommen. Mit Vater war es plötzlich ganz schlimm geworden. Er hat
noch gestern die Sterbesakramente empfangen. Wir waren alle bei ihm.
Es war eigentlich sehr schön. Vater war in dem Moment ganz klar. Er konnte
selbst alle lateinischen Antworten geben. Ebbers war heute hier. Es tut
uns so furchtbar leid, daß Otto nicht hier ist. Dr. Trauboth meint, durch
Spritzen könnte er Vater noch einige Wochen das Leben verlängern. Sein Herz ist
sehr schwach. Das Leben ist jetzt u. war in den letzten Wochen nur
noch Quälerei für Vater. Nicht so sehr körperlich als seelisch. Ich hätte
nicht gedacht, daß es einem so gesunden Menschen im Alter so gehen
könnte. Das sind aber wohl auch Alterserscheinungen. Er war jeden Tag
stundenlang in der Kirche, sogar am Freitag noch. Mit dem Beichten
wurde er nicht mehr fertig, Du glaubst nicht wie sehr er sich in
letzter Zeit damit gequält hat. Es war furchtbar. Ich glaube, daß
es eine Erlösung für ihn ist, wenn er möglichst schnell stirbt.
Dieses Wetter ist schlimm für Kranke. Einmal ist es unerträglich
heiß u. schwül, dann folgt ein Gewitter, dann ist es wieder kalt.
In Wewelsburg sterben viele Leute. Heute ist der alte Räker (Göke) be-
erdigt. Hofentlich ändert sich das Wetter bald.
Um Hanna mache ich mir ernstlich Sorgen. Wollte sie wenigstens ordent-
lich essen. Ich weiß erst heute zu schätzen, was es heißt wenn man ge-
sund ist. Ich bin viel ruhiger u. nicht so nervös, mir kann nichts
den Appetit verderben. Das ist viel wert. Ich habe den Ärger im
Winter ja auch nicht so mitgekriegt. Annel. ist auch schrecklich
dünn geworden. Willi hat viel auf dem Gewissen. Er wird auch jetzt
nicht zur Besinnung kommen. Ich bin so weit, daß es mich ganz
kalt läßt, wie er sich benimmt. Es ist nur, als wäre er nicht mein
Bruder. Daß er seinen Ostern nicht gehalten hat, (d.h. er ist einen
Samstag u. Sonntag nicht zu Hause gewesen, vielleicht ist er um uns
zu ärgern, da zu den Sakramenten gegangen.) daß er mit der F. Pritsch-
mann rumläuft u. alles das läßt mich kalt. Es kann nie, niemals
wieder in Ordnung kommen zwischen uns. Es ist ein Segen, daß
wir unten das Haus haben. Heute war der Rechtsanwalt Witte von Salzk.
hier. Ab heute gehört Willi der Kotten. Bisher habe ich mir gesagt,
ich habe dasselbe Recht zu Hause zu sein als Willi. Das ist nun vor-
bei. Schließlich sind wir jetzt nur noch geduldet, er kann uns zu
jeder Zeit an die Luft setzen. Es wäre ja nicht so schlimm wenn die
Ernährungslage besser wäre. Ich mache mir keine unnütze Sorgen.
Bald kommst Du u. einmal werden wir heiraten, Liebster, ein
Lichtblick für mich, an den ich mich immer wieder klammere.
Bis Du diesen Brief erhälst, ist Vater sicher schon tot. Es ist so
furchtbar, ich kann u. will das nicht glauben. Aber was hilft es,
sich gegen das Schicksal aufzulehnen. Wenn man auch manchmal meint
man könnte bald verzweifeln, man hielte das Leben nicht aus. Es hilft
nur beten. -- Waldo, Liebster wie geht es Dir, wann kommst Du? Mache
Dir meinetwegen keine Sorgen. Mir ist nur heute so ein bißchen
schwer um's Herz. Es wird Zeit, daß ich in's Bett komme. Ich hätte
Dir vielleicht besser morgen geschrieben, aber ob ich dann dazu gekommen
wäre.
In Treue
Deine Josi.
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